Einführung: Heinrich Gerhard Bokeloh (1908 – 1957) war Mitglied der Bekennenden Kirche und von 1936 bis 1951 Hilfsprediger in Jemgum. Er wurde am 21. Mai 1936 in Marienchor in das Pfarramt eingeführt. Die Gemeinden Böhmerwold und Marienchor waren damals unter einem Pfarramt vereinigt. Zu Beginn des Krieges im September 1939 wurde er wegen einer Predigt in Marienchor in das Konzentrationslager Oranienburg eingewiesen. Nach zweieinhalb Jahren wurde er von dort entlassen und dann als Soldat eingesetzt. Seit 1945 war er wieder als Pastor in seiner Gemeinde tätig. Am 15. Oktober 1951 wurde Pastor Bokeloh nach Plantlünne versetzt. Sein früher Tod ist wohl auf Schädigungen im Konzentrationslager zurückzuführen.
Bericht über eine Reise nach Berlin zwecks Freilassung von Pastor Bokeloh
Am 16. Dezember 1941 fuhren Anneus van Lessen, Böhmerwold, mit Pastor (Gerhard) Brunzema, Emden, und Kromminga, Marienchor, nach Berlin zur Geheimen Staatspolizei, um eine Haftentlassung von Pastor Bokeloh, der seit dem 13. September 1939 im Konzentrationslager saß, zu erwirken.
Anwesend Regierungsrat (Erich) Roth, Assessor Hanenbruch, van Lessen aus Böhmerwold, Kromminga aus Marienchor, Brunzema aus Emden.
Regierungsrat Roth erklärte, dass die Reise unnötig gewesen sei. Es sei in dieser Sache nichts zu machen. Darauf wies P. Brunzema darauf hin, dass die persönliche Besprechung in Sachen des G.V.J.H. Emden guten Erfolg gehabt hätte, und dass auch in der Sache Bokeloh eine Besprechung günstig sein könnte. Es handele sich darum, für einen echten, aufrichtigen deutschen Mann einzutreten.
Van Lessen berichtete nun davon, dass er P. Bokeloh gut kenne, dass er sehr offen und ehrlich sei, und dass man keine Bedenken haben müsse, ihn frei zu lassen, damit er als Soldat seinen Dienst tun könne. Dann nahm Regierungsrat Roth die Akten vor und las vor, was die Zeugen über Bokelohs Predigt ausgesagt hätten. Es seien 4 Zeugen vernommen worden, die in ihren Aussagen übereinstimmten. Dieser Krieg sei ein Gottesgericht über das stolze und hochmütige deutsche Volk, das sich gegen Gott empört hätte. Gott werde schon das Volk demütigen. Die militärischen und politischen Erfolge seien sehr unsicher, und es sei ein Tanz auf Seifenblasen, die bald zerplatzen würden.
P. Brunzema wies darauf hin, dass Lehrer Meyer ihm gegenüber erklärt habe, dass in der Predigt nicht von militärischen und politischen Erfolgen gesprochen worden sei, sondern nur allgemein von Erfolgen des Menschen, dass er aber es so verstanden hätte, dass es sich um die politischen und militärischen Erfolge in Polen handele. Der Einwand wurde zwar gehört, aber nicht ernst genommen.
Eine längere Aussprache entstand über die Demut. P. Brunzema wies darauf hin, dass selbst der Führer gesagt habe: In Demut danken wir dem Herrgott für den Sieg. Also sei Demut vor Gott nicht eine Erniedrigung des Menschen, sondern in der Demut nehme der Mensch die Stellung zu Gott ein, die ihm gebühre. Hiergegen konnten die Herren nichts sagen, aber sie vertraten dennoch die Ansicht, dass durch den Ruf zur Demut der Widerstandswille des Volkes geschmälert sei. P. Brunzema wies darauf hin, dass der Krieg kein Amüsement sei, das sich ein Volk wünschen könnte, sondern eine Heimsuchung. Dass die Bibel klar davon rede, dass Kriege Folgen der Sünde seien und dass gegen das Ende der Welt mit Kriegen zu rechnen sei. Wer das auf Grund der Bibel sage, untergrabe den Widerstandswillen nicht, sondern bereite die Menschen vor und gebe ihnen Anlass, sich auf ernste Zeiten einzurichten.
Es wurde von den Herren einerseits behauptet, dass P. Bokeloh die ihm zur Last gelegten Sätze zugegeben hätte, andererseits, dass er versucht hätte, sie in demselben Sinne wie P. Brunzema abzuschwächen. Kromminga machte darauf aufmerksam, dass er die Predigt in Marienchor gehört hätte, dass ihm aber solche Sätze wie in den Zeugenaussagen, nicht zu Ohren gekommen seien. Zuerst wurde darauf erwidert, dass manche Leute in der Kirche schliefen. Dann wurde aber gesagt, dass er es aus seiner Einstellung nicht so verstanden hätte, wie es die Zeugen hätten verstehen müssen. Besonders Assessor Hanenbruch bestand immer wieder darauf, dass ein Pastor sich so unmissverständlich ausdrücken müsste, dass jeder ihn richtig verstehen könne.
P. Brunzema machte darauf aufmerksam, dass ja ein Schreiben vorläge in dem 12 Zeugen erklärten, dass durch die Predigt die Einsatzbereitschaft für Volk und Vaterland in keinster Weise gemindert sei. Regierungsrat Roth wusste nichts davon, Assessor Hanenbruch kannte die Eingabe, aber beide taten sie ab, als hätte sie keine Bedeutung. Es wurde aber darauf hingewiesen, dass hier 12 Zeugen gegen 4 stünden.
Van Lessen und Kromminga traten noch einmal für P. Bokeloh und seinen ehrlichen Charakter ein, gaben aber an, dass er in seiner Ausdrucksweise öfters unklar gewesen sei, so dass es wohl einmal Missverständnisse gegeben hätte. Aber es hätte ihm immer fern gelegen, irgendwie versteckt etwas zu sagen. Die Gemeinde könne es nicht verstehen, dass er nicht Soldat sei. Dass er im KZ sei, sei für die Gemeinde eine schwere Belastung.
Die Herren erklärten, dass sie wegen der schweren Verfehlungen des P. Bokeloh nicht an Haftentlassung denken könnten. Jetzt, da das Volk sich auf einen längeren Krieg einrichten müsste, könnte man solche Leute nicht loslassen. Sie hätten, wie bei einem Gericht, nicht nur das Belastende, sondern auch das Entlastende berücksichtigt. Kromminga machte noch auf die Notlage der Familie aufmerksam, aber das wurde kaum gehört.
Die Herren hätten natürlich kein Interesse daran, Pastoren zu verhaften und in Haft zu halten, aber hier ginge es nicht anders. Überdies würde er in der Haft gut behandelt, man redete von Dachau, aber war sich nicht einig, ob er nun in Dachau oder Oranienburg sei.
Auf Anfrage von P. Brunzema sagten sie, dass die Entscheidung über P. Bokeloh bei ihnen läge, und dass man keine andere Stelle deswegen besuchen könne. Auf die Zustimmung der Parteistellen zur Haftentlassung legte man keinen besonderen Weit. P. Bokeloh würde mindestens noch ein halbes Jahr in Haft bleiben müssen. Aber es wurde nicht fest zugesagt, dass es dann ein Ende hätte.
Auf die Frage, was man noch in der Sache tun könne, hieß es, man könne ja schriftlich Eingaben machen und zweckdienliche Mitteilungen der Stapo einschicken, aber von persönlichen Besuchen solle man absehen, weil sie zwecklos seien und zu viel Zeit und Geld kosteten.
Es scheint mir aus der Unterredung einiges klar geworden zu sein:
1. Die Verlängerung der Haft hat ihren Grund in der politischen und militärischen Lage. Im August rechnete man mit einem baldigen Ende des Krieges und damit war eine Haftentlassung im Dezember begreiflich. Jetzt zieht man den Termin hinaus.
2. Die 12 Zeugen für P. Bokeloh sind unangenehm und werden deshalb beiseitegelegt. Man wird dafür sorgen müssen, dass dies Zeugnis richtig gehört und ernst genommen wird. Wenn bei der Unterredung ein Mann gewesen wäre, der gesagt hätte: Ich habe die Predigt gehört und diese Ausdrücke sind nicht gefallen! Dann wäre die Lage geklärt.
3. Es ist sehr wichtig, die Aussagen des Lehrer Meyer zu bekommen, da man dann wirklich weiß, was genau behauptet wurde, und da man dann allein in der Lage ist, die Anklagen zu widerlegen. Es war uns bei der Unterredung nicht möglich, die Sätze zu notieren oder im Gedächtnis genau festzuhalten.
4. Ich würde empfehlen, etwa am 29. XII. eine Sitzung der beiden Kirchenräte anzusetzen, zu der auch Pastor (Gerd Hesse) Goeman zu laden wäre, um den ausführlichen Bericht der 3 zu hören, und um dann zu beraten, was nun weiter zu machen ist. Die Gestapo erwartet sicher Antwort auf die Anklagen, die sie gegen P. Bokeloh erhoben hat, und wir sollten ihr die Antwort nicht schuldig bleiben.
5. Es kann und darf sich für uns bei dieser Sache nur darum handeln, die Wahrheit ans Licht zu bringen, ob sie nun gehört wird oder nicht. Die Kirche und die Gemeinde und der Angeschuldigte haben alle das größte Interesse daran, den Tatbestand genau festzustellen. Da die Herren bei der Gestapo größten Wert darauf legten, dass sie gerecht geurteilt hätten im Falle Bokeloh, und dass sie leider nicht anders handeln könnten. So müssen wir alles tun, um dieser Stelle eine klare Erkenntnis der Sachlage zu Verschaffen. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch in diesem Falle die Wahrheit zum Sieg kommt.
Vorstehender Text ist abgeschrieben aus dem Buch „Gemeinde-Chronik Böhmerwold-Bovenhusen“, verfasst von Anneus van Lessen. Ein Buch befindet sich in der Landschaftsbibliothek in Aurich.
Weiterer Text aus dem genannten Buch:
Am 22.1.1946 bekam Lehrer Meyer die Nachricht, dass er aus dem Schuldienst entlassen sei. Meyer sollte mit dazu beigetragen haben, dass Pastor Bokeloh 1939 in ein Konzentrationslager gebracht wurde.