Die Emder Familie van Lessen um 1600

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Im Emder Stadtarchiv gibt es ein Rathausprotokoll vom 18.6.1569 über die Eheschließung und Gütereinbringung der Eheleute „Joest van Lessene und Magdalene Tgrauve“. Er gibt als Beruf „Linnewer“ an und verweist auf seine „vaderliche und moederliche Guederen in sinen Vaderlande Flandern“. Seine Frau stammt aus „Marcke im Hennegow“. Dies ist die erste Dokumentation des Namens „van Lessen“ in Emden und Ostfriesland.

Im Stadtarchiv ist weiter dokumentiert, dass Joesten Janssen aus Tih (heute Tielt) in Flandern am 6.3.1580 in Emden den Bürgereid leistete. Ein weiteres Rathausprotokoll vom 27.5.1585 dokumentiert die 2. Eheschließung von Joest Jansen und Lisabett Miclott, der Witwe von Arian de Potters, den sie 1570 geheiratet hatte. Bei dieser Gelegenheit gab Joest Jansen van Lessen als Herkunftsort Denste (heute Deinze) an. In dem Dokument wird darauf hingewiesen, dass Joest Jansen einen älteren Sohn Elias und eine jüngere Tochter Magdalena in die Ehe mitbrachte und Lisabett Miclott eine Tochter Tanneke de Potters hatte. Die beiden Kinder von Joest Janssen van Lessen aus erster Ehe führen bei ihrer jeweiligen Eheschließung in Emden die Namen Elias van Lessen und Magdalena van Lessen. Aus der 2. Ehe von Joest Janssen van Lessen sind keine Kinder bekannt. Die Orte Tielt und Deinze liegen westlich von Gent und sind ca. 18 km voneinander entfernt.

Im März 1580 hat weiterhin der „olde Johan Corste Leßen, Linneweber“ in Emden den Bürgereid geleistet. Leider gibt es über ihn keine weiteren Angaben, so dass wir nicht wissen, ob er vielleicht der Vater von Joest Janssen van Lessen war. Wann Joest van Lessen und Johan Corste Leßen nach Emden kamen, wissen wir nicht genau, denn wallonische Flüchtlinge aus dem heutigen Belgien kamen schon seit 1554 nach Emden. Bekannt ist vor allem die von Maria Tudor, der „Blutigen“ aın 17. September 1553 aus London ausgewiesene Gruppe von 175 wallonischen Flüchtlingen, die unter der Leitung ihres Predigers Johannes à Lasco auf drei Schiffen nach langer Irrfahrt über Kopenhagen, Hamburg und Lübeck im April 1554 in Emden ankamen, und die dort von der Gräfin Anna und der Emder Bevölkerung freundlich aufgenommen wurde. Johannes à Lasco war in Emden kein Unbekannter; er hatte sich bei seinem ersten Aufenthalt in Emden um die Organisation der protestantischen Kirche in Ostfriesland verdient gemacht, wurde 1549 wegen angeblicher Konspiration gegen Kaiser Karl V. verfolgt, war nach London geflüchtet und Prediger der wallonischen Gemeinde geworden.

Karl V. hatte den Städten der südlichen und nördlichen Niederlande, die weitgehend mit dem heutigen Belgien und den Niederlanden übereinstimmen, und denen er sich besonders verbunden fühlte, weil er hier geboren und aufgewachsen war, zahlreiche Privilegien gegeben, die in einer Urkunde „Magna Charta“ zusammengefasst waren. Während seiner Regierungszeit hatte sich der Protestantismus auch in diesem Teil seines Reiches weit ausgebreitet, obwohl er ihn nach Kräften einzudämmen versuchte. Bei der Abdankung von Karl V. am 25. Oktober 1555 in Brüssel übergab dieser die Herrschaft über die Niederlande sowie über Spanien seinem Sohn Philipp, der von nun an als König Philipp II. von Spanien und den Niederlanden sein Reich von Madrid aus regierte und seine Halbschwester Margaretha von Parma in Brüssel als Statthalterin der Niederlande einsetzte. In Spanien war bald die Inquisition in vollem Gange, der neben den Protestanten vor allem die ebenfalls zu den Ketzern zählenden Juden zum Opfer fielen; viele wanderten damals nach Amsterdam und Hamburg aus. In den Niederlanden gelang es Margaretha von Parma nicht, den Protestantismus zurück zu drängen. Die führenden Adeligen wie der Prinz Wilhelm von Oranien, die Grafen Egmond und Hoorn, die damals selbst noch zur katholischen Kirche gehörten, lehnten es ab, die protestantischen Städte und Gemeinden mit Gewalt ähnlich wie in Spanien zum Katholizismus zu zwingen.

1567 schickte Philipp ll. seinen treuen Gefolgsmann Fernando Alvarez de Toledo, Herzog von Aiva, kurz Herzog Alba genannt, mit einem großen Heer nach Brüssel. Er zog am 22. August 1567 in Brüssel ein, und setzte mit Sondervollmachten des Königs ausgestattet, alle Privilegien der niederländischen Städte außer Kraft. Prinz Wilhelm von Oranien flüchtete mit seiner Familie nach Deutschland zum Stammsitz seiner Eltern Schloss Dillenburg und stellte von hier aus ein Heer auf, mit dem er die Spanier aus den Niederlanden vertreiben wollte. Die Grafen Egmond und Hoorn wurden in Brüssel wegen Landesverrats angeklagt und öffentlich enthauptet, Prinz Wilhelm von Oranien wurde für vogelfrei erklärt, seine Besitzungen in Frankreich und den Niederlanden enteignet. Während anfangs viele versucht hatten, durch Unterwerfung Gnade beim König zu finden, zeigte sich bald, dass alle Protestanten als Ketzer verurteilt und hingerichtet werden sollten, und keine Gnade zu erwarten war. Alle freiheitlichen Privilegien waren von König Phillip aufgehoben werden und wurden mit Füßen getreten.

1568 konnte Herzog Alba die von Prinz Wilhelm von Oranien und seinen Brüdern gegen ihn ins Feld geführten Heere besiegen und weite Teile Nordhollands besetzen. Der Befreiungskrieg der Niederlande von spanischer Herrschaft hatte begonnen; er endete erst 80 Jahre später 1648 mit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück und brachte den Niederlanden nach langem aufopfernden Kampf die Freiheit und die Unabhängigkeit von Spanien. Zunächst aber flüchteten 1568 zahlreiche Protestanten vor den anrückenden Spaniern nach Norden unter anderem auch nach Emden, in dem 1567 die Pest gewütet hatte und deren Bevölkerung dadurch dezimiert war.

1568 ist auch das Jahr, in dem Kornelis de Lesenne (Corneille de Lessigne) und sein Freund Meister Karel auf der Reise von den Niederlanden zurück nach Wesel am Niederrhein, wo er damals seinen Wohnsitz hatte, von Königstreuen in der Nähe von Lüttich gefangen genommen wurden. Cornelius van Lessen wurde als reformierter Prediger erkannt, stand in Lüttich treu zu seinem Glauben und wurde dafür zusammen mit Meister Karel als Ketzer verurteilt und öffentlich gehängt. Vielleicht hat dies Ereignis dazu beigetragen, dass Johan Corste Lessen und Joest Janssen van Lessen, deren Verwandtschaft mit Cornelius van Lessen nicht nachgewiesen ist, sich als besonders gefährdet ansahen und 1568 nach Emden flüchteten.

Wir wenden uns jetzt Elias van Lessen zu, der erstmals 8.4.1603 mit vollem Namen im Emder Rathausprotokoll seiner Eheschließung mit Mayke Penon genannt wird. Trauzeugen waren Joist Jansen van Lessen (sein Vater) und Lowiß Penon „als Ohm van der Brudt“.

Hermann Fischer aus Wilhelmshaven, der ein direkter Nachkomme von Elias van Lessen und Mayke Penon ist, und der die Geschichte der Familien van Lessen und Penon im 16. und 17. Jahrhundert im Emder Stadtarchiv erforscht hat, vermutet, dass Mayke Penon die Tochter von Johan Penon war; dieser hatte am 10.6.1574 in Emden den Bürgereid geleistet, war mit Ubbeken de Lev verheiratet und ist 1584 gestorben. Lowiß Penon war vermutlich ein Bruder von Johan Penon, Maykes Vater. Als erster hatte der spätere Severin Penon am 9.2.1563 in Emden den Bürgereid geleistet unter dem Namen „Severyn Ponoy van Camruh“ (Kameryk, franz. Cambrai?), der noch sehr wallonisch klingt. Severin und Johan Penon waren vielleicht Brüder oder sehr befreundet, denn am 19.4.1585 kauften Severin Penon zusammen mit seiner Frau Antoinette de Baral und Ubbeken de Lev, die Witwe von Johan Penon, in einem Doppelgeschäft von Hayo Ryken je ein Haus in der Emder Lockfenne; die Häuser lagen nebeneinander.

Elias van Lessen hat in Emden verschiedene wichtige Ämter bekleidet. 1602 wurde in Emden ein „Krygsrath von 8 Persoonen angestelt, so die Judicatuir en Sonst in Krygssaeken te verwalten, waer van 2 uit de Rath, 2 uit de Viertigen, 2 uit de Colonellen en Hopluiden, en 2 uit de 100 Mannen erwehlet worden“, der Secretarius dieses Kriegsrathes war Elias van Lessen. Später taucht sein Name in der Offıziersliste der Emder Bürgerwehr nicht mehr auf (K. Ecke und H. R. Manger: Die Offiziere der Emder Bürgerwehr 1595 – 1750). 1605 wird Elias van Lessen als Diakon der Fremdelingen – Armen in Emden erwähnt, 1611 als Diakon der französisch – reformierten Kirche, 1621 war er Ältester der französisch-reformierten Kirche in Emden, er unterzeichnete das französischsprachige Glaubensbekenntnis dieser Kirche. 1622 gehört er zum „Rat der Vierziger“, 1626 ist er deren Präsident. 1628 war er Ratsherr der Stadt Emden und 1632 arbeitete er als „Niedergerichtsherr“ in Emden. Die meisten dieser Ämter waren sicher Ehrenämter, welchen Beruf Elias ausgeübt hat, wissen wir nicht. Der Name „van Lessen“ wird in den alten Dokumenten teilweise auch mit ß statt ss geschrieben; unter dem Glaubensbekenntnis der französisch-reformierten Kirche steht „Elias van Leßen“.

Das Amt des „Diakon der Fremdelingen – Armen“ bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung. Als 1554 viele wallonische Flüchtlinge nach Emden kamen, waren darunter auch Mittellose, Arme, deren Ansiedelung in Emden Gräfin Anna nur unter der Bedingung zustimmte, dass sie von den wohlhabenden Zuwanderern versorgt würden, und dass durch sie die einheimischen Armen nicht benachteiligt würden. Die vermögenden Wallonen verbürgten sich dafür und erhielten als Gegenleistung die Erlaubnis der Gräfin, „bei den Einwohnern der Stadt zu gewissen Zeiten eine Collecte zum Besten ihrer Hülfsbedürftigen abhalten zu dürfen“. Mit der „Einkassirung“ der Beiträge von den Flüchtlingen sowie mit den allgemeinen „Collekten“ betraute à Lasco bestimmte Personen, die zugleich auch die Verteilung der reichlichen Gaben durchführten. lm Sommer 1555 verließ Johannes à Lasco Emden, es fand sich zunächst niemand, der die Armenpflege organisierte. Im Winter 1556 – 1557 kam es infolge großer Verluste in der Handelswelt zu einer Teuerung, die Zahl der Hilfsbedürftigen stieg an. Um der Not zu steuern wurde 1557 der „Kornvorrat der Stadt Emden“ gestiftet, eine Einrichtung, die bis zur 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv war und auch heute noch existiert. Im gleichen Jahr wurde das „Gasthuis“ zur Betreuung von Kranken und Obdachlosen eingerichtet. Die zugehörige Gasthauskirche, in der mein Großvater Karl Gotthilf Kind immer besonders gern gepredigt hat, brannte 1938 ab und wurde nicht wieder aufgebaut. lm Januar 1558 wurden aus dem Kreis der Flüchtlinge 8 Personen gewählt, die sich um das Einsammeln und Verteilen der Gelder für die Armen kümmern sollten; sie bildeten die „Diaconie der aermen vremblingen binnen Embden“. Die diensttuenden Diakone trafen sich Montag morgens um 9 Uhr am Delft und machten von hier aus die Runde, um von den Bürgern Emdens ihren Stüber, worauf die wöchentliche Gabe festgesetzt werden war, einzusammeln. Dazu kamen freiwillige Beiträge der Fremden und kleine Vermächtnisse. lm ersten Jahr betrugen die Einnahmen 709 Gulden, 5 Schaaf und 16½ Witte. Die Verteilung der Gelder besorgten die Diakonen der Reihe nach und legten monatlich ihre Bilanz vor. 1605 hießen die Diakone Elias van Lessen und Jaques Commelyns, Kassierer war Peter Payn. 1858 feierte die Diakonie ihr 300-jähriges Bestehen und gab zu diesem Anlass eine Festschrift heraus, der ich diese Angaben entnommen habe.

Elias van Lessen und Mayke Penon hatten zwei Töchter, Wobbeke und Maria van Lessen. Wobbeke van Lessen heiratete am 16.6.1632 den Kaufmann und Quartiermeister Dirk Dirksen, der ebenfalls viele Ämter in Emden inne hatte; sie hatten drei Töchter, Anna, Elisabeth und Wobke Dirksen, von denen Anna am 4.8.1655 Philipp II. Herlin (Herlyn) heiratete.

Maria van Lessen heiratete am 14.4.1638 Christoffer Stippel, dessen Vater Otto Stippel von 1596 ‑ 1609 zu den Vierzigern gehörte und der selbst 1617 Schüler der Emder Lateinschule war. Wir müssen annehmen, dass Mayke Penon 1624 gestorben ist, denn im August 1625 heiratete Elias van Lessen in 2. Ehe Margarethe Berents. Diese Ehe war kinderlos. Elias van Lessen starb am 6.9.1637.

Seine 2. Frau heiratete am 19.4.1641 Ucco Sparringa, „der löblichen ostfriesischen Stände u. Collegy Administratorum dieser Grafschaft Secretarius“.

Bei den weiteren Nachkommen von Elias van Lessen taucht der Name „van Lessen“ nicht mehr auf. Es ist auch in den vergangenen 10 Jahren nicht gelungen, eine Verbindung zwischen Elias van Lessen in Emden und unserem Ahnherrn Johan Leßen in Dykhausen zu finden.

Geschrieben etwa im Jahr 2001 von Harmen van Lessen † (409), Solingen.

Siehe auch
Kurze Historie der Abstammung“ ,
Einleitung zum Familienbuch“ und

Tafel der frühen van Lessen in Emden“.