Protokoll eines Vortrages von Gerhard Kronsweide auf der Herbsttagung des Vereins für Ostfriesische Familien und Familienverbände am 23.9.2017 im Sielhaus in Jemgum.
lm Reiderland (von dem vielen Reit der damaligen Uferlandschaft) finden sich u.a. an der linksseitigen Unterems kurz vor der Mündung in den Dollart Siedlungsspuren aus der Eisenzeit im 7./6. Jahrhundert v. Chr., aus der Zeit eines Militärlagers der römischen Kaiserzeit und von einer vermutlichen Burgstelle der Sixtuskirche, dem ersten Gotteshaus aus dem Hochmittelalter, einer Wehrkirche an der Stelle des heutigen Friedhofs. Aus dem Jahr etwa 650 n. Chr. stammt der berühmte Bootsfund von Jemgum aus dem Jahr 1964. Es handelt sich um einen Einbaum, der zum Schluss beim Bau eines Weges über den südlichen Priel des Ortes verwendet wurde und sich deshalb so gut erhalten hat. Nach Restaurierung im Groninger Museum steht das Boot z.Zt. im Archäologischen Institut der Ostfriesischen Landschaft.
Die Sixtuskirche wurde 1533/34 abgerissen nach der 1. Schlacht von Jemgum zwischen den ostfriesischen Grafen und dem mit Maria von Jever verbündeten Balthasar von Esens und seinen geldrischen Bundesgenossen. In der 2. Schlacht von Jemgum 1568 vernichtete Herzog Alba die holländischen Truppen und den ganzen Ort. Der Dreißigjährige Krieg und ein Großfeuer 1783 waren weitere Schreckensperioden. Die heutige Johanniterkirche gehörte ursprünglich zum Johanniterkloster. Die Neubauten von 1847 brannten 1930 und 2004 ab. Sie wurden jetzt in einem „mutigen“ Schritt im expressionistischen Stil des Neubaus von 1930 wieder gestaltet.
Die erste urkundliche Erwähnung findet sich in einer Verkaufsurkunde aus dem Kloster Werden bei Essen mit dem Namen „Giminghem“, wurde in weiteren Urkunden zu Gemegum, Gemgum, schließlich zu Jemmingen und Jemgum. Ursprünglich war es also wohl das Heim eines Gimo mit seinen Mannen, den Gimmingen, eine in Ostfriesland häufigere Namensentwicklung wie z.B. Pewsum aus Peweshem. Um 1000 wurden wie überall die Deiche gebaut, tiefe Priele wurden allmählich zu Sieltiefs und Häuptlingsgeschlechter entwickelten sich aus den Bauern. Der Johanniterorden förderte die wirtschaftliche Entwicklung durch seine Niederlassung auf den beiden Langwarfen, auf denen eine Händler- und Handwerkersiedlung entstand. Als erster Häuptling wird Ewo von Gemminge 1401 erwähnt, dessen Epitaph in der Kirche zu Norden steht. Das Steinhaus (Burg) stand in der Nähe der Sixtuskirche im Ortswesten. Ein mittelalterlicher Weg entlang des linken Emsufers, der Tjaddeweg, ist auch heute noch unter diesem Namen teilweise erhalten.
ln den darauf folgen Jahrhunderten wurde es ruhiger. Die Burg ging über die Nachkommen von Fokko Ukena und seine Tochter Theda und über die Familie Groeneveld 1850 dann an die Familie Reins, den Besitzern einer der Jemgumer Ziegeleien, die dort eine Villa bauten. Die sonstige wirtschaftliche Entwicklung ist neben der Aktivität der Johanniter mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Entwässerung durch eine Mühle aus dem Jahr 1448, die Erhebung eine Acquise durch Graf Edzard den Großen 1495 auf Waage und Hafen weiter markiert. Es entwickelte sich auch eine damals bedeutende Weberei mit einer eigenen Zwirnmacher- und Weberzunft.
Seit der Zeit der Handelswarft gab es verschiedenste Handwerksbetriebe, seit dem 17. Jahrhundert bis zu drei Ziegeleien. Die moderne Ringofenziegelei von 1871 produzierte noch bis 2007. Eine 1756 als Galerieholländer errichtete Mühle existiert heute noch als Museum dank eines Mühlenvereins. Es gab auch eine Ölmühle und Sägemühlen. Landwirtschaft und Fischerei verkauften ihre Produkte auch auf den örtlichen Märkten. Für den Tourismus gibt es heute 800 Betten von 177 privaten Anbietern.
Seit 1597 gibt es in Jemgum durchgehend Schulen, seit diesem Jahr sind die Namen der Lehrer lückenlos verzeichnet worden im Gefolge des Bildungsaufrufs der Reformatoren. Jemgum wurde reformiert. Seit 1604 gab es in Jemgum Juden, seit 1750 eine eigene Gemeinde. 1810 wurde auch eine Synagoge gebaut, baugleich mit der heute noch stehenden kleinen Synagoge in Nieuwe Schans. 1854 wurde der jüdische Friedhof angelegt, der heute noch an der Straße nach Leer deichseitig besucht werden kann. Die Gemeinde zerfiel jedoch schon seit Ende des 19. Jahrhunderts, die Synagoge war schon vor der Nazizeit unbrauchbar geworden.
Der Erste Weltkrieg brachte wieder Not nach Jemgum, es kam zu Hungerumzügen der Landarbeiter, Plünderungen auf den Bauernhöfen und Einsatz von Militär. Das wirkte noch bis in die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nazis in der Weimarer Zeit hinein. Ziegeleiarbeiter und Landarbeiter hatten schon 1793 häufiger gestreikt. 1923/24 wurden gewerkschaftliche und sozialdemokratische Organisationen gegründet, 1931 die Ortsgruppe der NSDAP. Jemgum bleib eine Hochburg der SPD (bei der Bundestagswahl vom 24.9.2017 erreichte die SPD 51,5 % der Stimmen). lm Zweiten Weltkrieg wurden wegen Bombenangriffen Luftschutzkeller gebaut, auf dem Ziegeleigelände ein Kriegsgefangenenlager für Franzosen, Serben und später Italiener eingerichtet. Am 25.4.1945 wurde der Ort friedlich an die Kanadier übergeben. 1944 kamen bereits die ersten Flüchtlinge aus dem Osten, die zeitweise 28 % der Jemgumer Bevölkerung ausmachten. 1973 wurde durch die Gebietsreform mit den zehn umliegenden Dörfern die heutige Gemeinde Jemgum gebildet. 1604 gab es 257 Haushalte mit etwa 1000 Einwohnern in Jemgum, 1650 nach dem Dreißigjährigen Krieg nur noch 400 Einwohner. Von 1250 Einwohnern 1939 stieg die Zahl auf 1850 im Jahr 1950 und lag 2005 bei 3750 in der Gesamtgemeinde.
Quellen: Vortrag von Gerhard Kronsweide 23.9.2017 im Sielhus und ders. „Jemgum, Gemeinde Jemgum, Landkreis Leer“, PDF Datei aus dem Internet sowie Ostfriesen Zeitung vom 26.9.17 (Wahlergebnis 24.9.17).
Zahlreiche Bilder mit historischen Anmerkungen finden sich noch in der kleinen Schrift „Jemgum – Das Auge des Reiderlandes“ von Gerhard Kronsweide, hg. vom Heimat- und Kulturverein Jemgum 2016.
Protokoll: Heyo Prahm