Mein Vater Freerk van Lessen, gestorben am 19. Oktober 2019.
Ich schlief und träumte das Leben wäre Freude.
Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht.
Ich handelte und siehe, die Pflicht war Freude.
Tagore
Eingangszitat im Buch der Familie van Lessen für seine Kinder
Mein Vater Freerk van Lessen (357) wurde am 12.1.1926 in Holtgaste als Sohn von Cornelius Carl (221) und Swanhild van Lessen geboren. Es folgten drei Schwestern, Almuth Jg. 1927 (358), Anke Jg. 1935 (359) und Maike Jg. 1948 (360).
Mein Vater hatte eine glückliche Kindheit. Er wuchs vor allem mit seiner Schwester Almuth auf. Die Schulzeit hat er belastend erlebt, durch den sehr ungerechten Lehrer, der hat noch mit einem Riemen geschlagen, oft aus einer Laune heraus.
lm 2. Weltkrieg wurde Freerk 1943 im Alter von 17 Jahren eingezogen. Durch viel Glück und Bewahrung kam er aus sibirischer Gefangenschaft am 12.10. 1945 völlig unterernährt und traumatisiert zurück. Damals glaubte er, dass er nie wieder arbeiten könnte. An dem Abend erfüllte sich sein Wunsch nach einem warmen Bad und einem frischen Pfannkuchen. Seine Mutter päppelte ihn über Wochen behutsam wieder auf. Nach den Aussagen meines Vaters hat er sich lange Jahre mit Albträumen gequält. Deshalb hat er für die damalige Zeit wahrscheinlich erst spät geheiratet.
Am 29.12.1956 heirateten meine Eltern Freerk und Elisabeth. Sie bekamen drei Kinder, mich, Elke (493) Jg. 57, Cornelius (494) Jg. 1958 und Wilke (495) Jg. 1960.
Mein Vater bewirtschaftete einen 49 ha großen Grünlandhof, den er von seinem Vater 1954 pachtete. Es traten bald Probleme auf beim Umtrieb der Kühe durch den zunehmenden Autoverkehr und durch die verstreuten Felder. Wir siedelten dann auf Betreiben meines Vaters im Februar 1962 aufgrund von Zusammenlegungsverfahren aus dem Dorf Holtgaste einen Kilometer entfernt aus. Er hatte dort einen neuen Hof geplant. Nicht nach der bisherigen üblichen Bauweise eines Anbindestalles, sondern nach reiflichen Überlegungen und vielen Besichtigungen neuerer Bauweisen entstand langsam das „klein Texas“, ein Freilaufstall mit Havestor. Es war eine schwere entbehrungsreiche Zeit, die eingetauschten Ländereien waren bisher nur extensiv genutzt worden und befanden sich in einem schlechten Zustand. Es gab keine funktionierende Entwässerung, so wuchsen dort Binsen und Seggen. Dazu kam eine katastrophale Zuwegung, und der ganze Neubau musste gerammt werden. Für die erste Zeit musste ein Brunnen für das Trinkwasser gebohrt werden, das war sehr eisenhaltig, und das Wasser musste aufbereitet werden. Erst im Juni konnte der Wasseranschluss, nachdem das Bett des Kanals aufgesprengt wurde, fertig gestellt werden. Für den Freilaufstall wurden die Kühe enthornt. Das Rheiderland stand Kopf, und die Schauermärchen vom Hof van Lessen überboten sich, z.B. geplatzte Köpfe der Tiere durch Frost. Im Herbst 1962 sagte ein Landwirt von Böhmerwold: Wenn du int Mors geist, dann lacht heel Böhmerwold sück doot“.
lm Herbst 1962 baute mein Vater die ersten Boxen für die Tiere, aus einfachen Brettern. Diese Idee bekam er durch einen Besucher, der in den USA gewesen war. Stundenlang hat mein Vater im Stall gesessen und geplant. Dies war die Geburt des ersten Boxenlaufstalls in Europa. Ich erinnere mich an die vielen interessierten Besucher, ganze Busladungen besichtigten über Jahre unseren Hof.
1978 wurde mein Vater für seine Pionierarbeit von dem Minister Ertl geehrt. Mein Vater schrieb: „Die ersten Jahre sind wir auf einem ganz schwachen finanziellen Grat gewandert. Meine Familie hat mit mir durchgehalten, sonst wäre das Schiff untergegangen. Ein besonderer Dank gilt meiner Frau Elisabeth. Sie hat mich arbeitsmäßig nie in Stich gelassen.“
Das Jahr 1980 war ein schweres Jahr. Zuerst verstarb mein Opa Cornelius, mein Vater hatte im Sommer unverschuldet einen schweren Autounfall und lag Monate lang im Krankenhaus. Zum Ende des Jahres verstarb seine ein Jahr jüngere Schwester Almuth an den Folgen einer Operation.
Seit 1949 gehörte mein Vater der Freiwilligen Feuerwehr von Holtgaste an. Ehrenamtlich war mein Vater im Verbandsausschuss der Rheider Deichacht, im Vorstand Landwirtschaftlicher Zweigverein Niederrheiderland, Gründungsmitglied des Maschinenrings, und er gehörte zu den Holtgaster Jägern. Bis ins hohe Alter erwies sich mein Vater beim Schießen als sehr treffsicher.
Er war 1984 Gründungsmitglied des Familienverbandes van Lessen und hat sich über einem Zeitraum von 35 Jahren in verschiedenen Funktionen u.a. als Kassenwart, Vorstand und zuletzt als Ehrenvorstand mit großem Engagement für unseren Verband eingesetzt.
Bis zum 30.4.1990 betrieben meine Eltern die Landwirtschaft, dann übernahm mein Bruder Wilke mit seiner Frau Gunda den Hof. Meine Eltern sind nach Bingum gezogen. Viele Jahre unterstützte er seinen Sohn mit Rat und Tat. Unter anderem passte er auf die Enkelkinder während der Melkzeit am Nachmittag auf.
Mein Vater hatte nun Zeit. Er begann seine Arbeit im Vorstand des Familienverbandes zu intensivieren. Er unterstützte die langwierige Aufarbeitung der vielen Daten und Korrekturen um das Buch der Familie van Lessen (1993) voran zu treiben.
Endlich hatte er auch Zeit, um die handschriftlichen Unterlagen und Dorfchroniken seiner Mutter Swanhild (verst. 1989) von dem Dorf, der Familien und des Krieges aufzuarbeiten. Daraus entstand dann die Idee, ein Buch für seine Kinder über die eigene Familie van Lessen zu schreiben (1992). Später folgten weitere Bücher: Das Dorf Holtgaste (1997), Wir vergessen Euch nicht – die Kriegsgefallenen von Holtgaste (1999), Bentumersiel (2001), Der Jagdclub armer Leute (2005), und ein Heftchen über seine Kriegszeit. Sein Interesse galt auch dem Holtgaster Friedhof. Es gibt zwei dicke Ordner darüber. Alle Grabsteine wurden von ihm regelmäßig fotografiert. Regelmäßig ging er zu den Treffen von der Ostfriesischen Landschaft und war Mitglied im Weeneraner Museum.
Mein Vater hat mit 89 Jahren seinen Führerschein abgegeben, das waren ein großer Einschnitt und eine Einschränkung für das Paar. Es machte ihn richtig traurig. Nun konnte er nicht mehr Besorgungen und Besuche durchführen. Auch Beerdigungen aufzusuchen fiel ihm zusehends schwerer. Über die Jahre machten sich die Folgen des schweren Autounfalls bemerkbar. Er lief immer schlechter. Dazu kam noch eine Schwerhörigkeit, die ihn von den geliebten Gesprächen abschnitt. Über Jahre lebte er mit seiner Altersleukämie und dem nun schwachen Herzen recht gut, er wurde zwar zusehends körperlich schwächer, aber er hielt sich tapfer und klagte nie. In seiner letzten Woche stürzte er mehrmals, und er kam ins Krankenhaus. Er erholte sich nicht mehr und verstarb am frühen Morgen des 19.10. 2019. Auch an den letzten Tagen ertrug er mit großer Geduld und Tapferkeit sein Leiden.
Welch eine ungeheure Leistung, Mut, Engagement und Durchhaltewillen erkenne ich aus dem Leben meines Vaters. Es hat mich sehr berührt, dieses in Kurzform für den Familienbrief festzuhalten. In Gedenken an einen tapferen Mann.
Elke van Lessen